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Z E I T D E R Z W E I F E L | |
|___ KÜNSTLER___| "Vor allem brecht ein für allemal
mit dem Worte "Kunst" und auch mit dem anderen: 'Künstler'. Hört auf,
euch an diesen Worten zu berauschen, die ihr bis zur unendlichen Monotonie
wiederholt. Ist es nicht so, daß jeder ein wenig Künstler ist? Ist es
nicht wahr, daß die Menschheit Kunst nicht nur auf Papier und Leinwand
schafft, sondern in jedem Moment des täglichen Lebens?" Die große Revision der Werte, die in allen Bereichen stattfindet, beruht auf " der Sichtbarmachung der Kulissen
unseres Theaters. Auf der Enthüllung, daß Erscheinungen nicht das sind,
als was sie gelten wollen. Wir revidieren die Moral, den Idealismus, das
Bewußtsein, den Geisteszustand, die Geschichte... Der Hunger nach Wirklichkeit
hat in uns begonnen, der Wind des Bezweifelns hat sich erhoben, er ist
es, der an unserer Maskerade zu zerren anfängt..." "Unser Lebenselement ist die ewige Unreife.
Was wir heute denken und fühlen, wird für unsere Urenkel unweigerlich
Unsinn sein. Daher wäre es besser, wenn wir schon heute die Portion Unsinn
darin erkennen würden, welche die Zeit daraus machen wird ... und die
Kraft, die euch zu einer vorzeitigen Definition zwingt, ist nicht, wie
ihr meint, eine völlig menschliche Kraft. Bald werden wir uns darüber
klarwerden, daß nicht mehr dies das Wichtigste ist: für eine Idee zu sterben,
für Stile, Thesen, Losungen, Glauben; und auch nicht dies: sich in ihnen
zu verschließen; hingegen etwas anderes, nämlich dies: einen Schritt zurückzutreten
und Distanz zu allem zu gewinnen, was unaufhörlich mit uns geschieht." |
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In der "Zeit der Zweifel", in der wir leben, sind viele bisher weithin akzeptierte Gewißheiten ins Wanken geraten. Die Wirklichkeit, die wir seit jeher zu systematisieren versuchen, läßt sich nicht mehr so einfach in die Schubladen pressen; umso schwieriger, weil man die Schubladen auch völlig unterschiedlich konstruieren kann - und dann entstehen völlig unterschiedliche (Denk-)Systeme. Als "undenkbar" betrachten wir das, was unseren Klassifikationsschemata nicht entspricht. Die Wissenschaften bemühen sich, die Realität zu benennen und dadurch zu zähmen und beherrschen: "Die geistige Bürokratie ist beglückt, wenn sie einen
Gedanken numerieren und in eine Schublade stecken kann. Ihr scheint,
daß sie damit alles erledigt habe." Vielleicht sollen wir jedoch unsere Grundorientierung revidieren und uns der Relativität eigener Denkschablonen bewußt werden; die Bücher Gombrowicz' gehören zu diesen Ansätzen, die uns helfen, aus den erstarrten Modellen des Verstehens auszubrechen. Übrigens: Auch Gefühle und Emotionen scheinen nicht mehr authentisch zu sein, man denke nur an Józio aus dem Roman "Ferdydurke", der in die Sutka "verliebt gemacht wird" ; sollte die Behauptung Gombrowiczs zutreffen, daß sich ein Mann in einer Frau ohne einen anderen Mann nicht verlieben könne? Wenn wir Begeisterung äußern, sind wir tatsächlich begeistert - oder reagieren wir nur auf die Erwartungen unserer Umgebung? "So zum Beispiel, wenn ein Pianist auf dem Podium
mit Chopin loslegt, sagt ihr, der Zauber Chopinscher Musik in der kongenialen
Interpretation des genialen Pianisten habe die Hörer bezaubert. Doch
vielleicht ist in Wirklichkeit keiner der Zuhörer bezaubert worden.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß, wenn sie nicht gewußt hätten, daß
Chopin ein großes Genie ist und der Pianist gleichfalls, sie dieser
Musik mit weniger Inbrunst zugehört hätten. Ebenso möglich ist es, daß,
wenn jeder von ihnen blaß vor Begeisterung bravo klatscht, schreit und
sich windet, so nur darum, weil andere auch schreien, sich winden; denn
jeder von ihnen denkt, daß die anderen einen unerhörten Genuß, eine
überirdische Ergriffenheit erleben, woraufhin auch seine Ergriffenheit
wie auf fremder Hefe wächst; und so kann es leicht geschehen, daß, obwohl
niemand im Saal unmittelbar entzückt worden ist, sich dennoch alle äußerlich
verzückt zeigen, weil jeder es seinem Nachbarn gleichtut. Und erst dann,
wenn alle zusammen sich in der Masse gegenseitig gehörig erregen, erst
dann, sage ich, rufen diese Anzeichen Ergriffenheit in ihnen hervor
- wir müssen uns unseren Anzeichen anpassen. Doch ist auch gewiß, daß
wir, indem wir jenem Konzert beiwohnen, etwas wie einen religiösen Akt
vollziehen (ganz so, als nähmen wir an der heiligen Messe teil) und
andächtig vor der Gottheit der Kunst knien; in diesem Falle wäre daher
unsere Bewunderung lediglich ein Akt der Huldigung und die Erfüllung
eines Rituals. Wer jedoch könnte sagen, wieviel in dieser Schönheit
an wirklicher Schönheit enthalten ist - und wieviel an historisch-soziologischen
Prozessen?" |
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