K U L T U R E L L E N T A N T E N | ||
|___ZITIERT ___| Gombrowicz über die Literaturkritik der Literaturzeitschriften: "Es schien, als ob ein Orden eingeweihter Kenner bestehe,
die das Urteil fällen. Doch in Wirklichkeit war es so, daß niemandem und
vor allem den Kennern selber nicht bekannt war, warum man sie zur Beurteilung
berufen hatte (sie wurden nicht gewahr, daß dies einfach von der Entscheidung
des Zeitungsredakteurs abhing)." Und obwohl die literarischen Zeitschriften scheinbar den Schriftstellern dienten, waren in der Wirklichkeit die Schriftsteller dazu da, um den Wochenschriften die Nahrung zu sichern. Die Redakteure dirigierten und organisierten, die Wochenschriften machten aus der Kunst einen Jahrmarkt und ein Schaustück: Wer ist der Größte? Wer soll propagiert werden? Wer soll durch wen niedergeschmettert werden? Wer soll gewürdigt werden? "Poeten, Schriftsteller galoppierten wie die Rennpferde,
und die breiten Massen brüllten sportlich: >Nimm ihn, nimm ihn!< oder
völkisch: >Dieser ist ein polnischer Kunder!< oder ideologisch: >Haut
ihn, den Schädling!<" Und wenn es auch die Beschreibung der polnischer Realität der dreißiger Jahre war, so stellte der Autor doch fest, daß es sich um Prozesse handele, die in der ganzen Welt unvermeidlich seien. Das es sich in dieser Hinsicht bis heute nicht viel geändert hat, bezeugt ein Auschnitt aus dem Interview mit Natascha Goerke, einer excellenter polnischer Schriftstellerin |___DER LITERATURKANON___| "Die Geschichte der Literatur... Gewiß,
aber warum nur die Geschichte der guten Literatur? Schlechte Kunst kann
für ein Volk charakteristischer sein. Die Geschichte polnischer Graphomanie
könnte uns vielleicht mehr über uns sagen als die Geschichte der Mickiewicz
und der Prus." Der polnische Literaturkanon - wie viele andere auch - wurde - laut Gombrowicz - einer Intention untergeordnet: das Individuum der Masse gefügig zu machen, zum Patriotismus zu locken, Gehorsamkeit gegenüber dem Glauben, dem Staat, dem Dienst zu lehren. |
Schon als Mensch durch viele Einflüsse "vordefiniert", unterliegt er auch als Autor verschiedenen Gesetzen, die seine Aussage administrieren und begrenzen: Die Gattungsrahmen , die Auswahl eines Themas, oder einer Poetik - das alles und noch viel mehr entscheidet über die letztliche Form des Werkes. Daher erweisen sich Józios ("Ferdydurke") Träume von einem Werk, das sein eigenes ist, ihm ähnlich, von ihm ausgehend, souverän seine eigene Auffassung gegen die ganze Welt vertretend, als utopisch. Bald schon steht Pimko, der mächtige Pauker, an der Türschwelle, und die Verformung setzt ein. (Auch aus diesen Rahmen versucht der Anarchist Gombrowicz auszubrechen und schreibt Romane, die gleichzeitig keine sind - "Antiromane" werden sie die Literaturwissenschaftler nennen.) Von einer großen Bedeutung ist dabei das Verhältnis zwischen Autor und Kritik. Mit diesem schmerzlichen Thema setzt sich Gombrowicz wiederholt auseinander, vor allem in Ferdydurke und in den Tagebüchern.
Ein Buch wird "in der Angst vor der Kritik (...), im Haß gegen die Kritik und in der Begierde, der Kritik zu entgehen" geschrieben. (Tagebuch I)
Die zur Zeit herrschende poetologische Doktrine, die persönliche Sympathien und thematischen Präferenzen tonangebender Kritiker, Einflüsse anderer Diskurse (etwa des politischen, juristischen, medizinischen) - all dies und vieles mehr sind Elemente der Macht, die das Feld der Literatur mitbestimmen. Józio denkt traurig über das Schicksal nach, das seinem Werk widerfahren ist, als es in die Hände der "kulturellen Tanten" gelangte. Damit meint er die Kritik, die ihre Urteile in verschiedenen Zeitschriften fällt. Die Kritiker haben dem Leser beigebracht, daß die Literatur eine Art schulischer Hausaufgaben ist, "die darum geschrieben werden, damit der Pauker eine
Note geben kann; daß Schaffen nicht ein Spiel der Kräfte sei, die sich
nicht gänzlich kontrollieren lassen, ein Ausbruch der Energie, eine
Arbeit des sich schaffendes Geistes, sondern lediglich die alljährliche
literarische >Produktion< zusammen mit den unzertrennlich dazugehörenden
Rezensionen, Konkursen, Preisen und Feuilletons." Auch die literarischen Wettbewerbe und Literaturpreise stellen demnach ein Element der Macht dar, was in der Tagebüchern sehr oft angesprochen wird; und auch der literarische Kanon wird unter der Wirkung vieler Faktoren gebildet - wie die der Literaturtheorien, literaturwissenschaftlicher Maßstäben, literarischer Konventionen und politisch-gesellschaftlicher Kräfte, etwa kulturpolitischen Vorgaben. Die Fragwürdigkeit solcher Bestimmungen kommt bei Gombrowicz sehr oft zur Sprache, wenn er zum Beispiel in den Tagebüchern offenbart, daß die Poesie ja nicht gelesen werde und daß fast niemand im Stande sei, ein gutes Gemälde von einem schlechten zu unterscheiden. Wie soll man sich daher mit der Tatsache abfinden, das Slowacki als nationaler Dramaturge und Dichter proklamiert wird, obwohl kaum einhundert Polen annähernd sein Werk kennen? Wie kann man behaupten, daß Slowacki oder Mickiewicz Begeisterung auslösen, wenn sie das nicht tun? Warum sagt man, daß Kasprowicz "ewig lebt", wenn er nur aus Katalogen der Bibliotheken bekannt ist? (Tagebuch I ) |
|
Lust auf Gombrowicz bekommen?
Folgende Bücher bekommen Sie bei Amazon.de |
Design + Content: Grazyna
Wanat |
|