F R E S S E - P O P O - P H I L O S O P H I E | ||
|___ZITIERT ___| Was heißt das, "jemandem eine Fresse machen" oder "jemandem einen Popo fabrizieren? " "Jemandem eine Fresse machen" - das heißt einen Menschen mit einem anderen Gesicht als seinem eigenen versehen, ihn entstellen; wenn ich zum Beispiel einen nicht dummen Menschen wie einen Dummkopf behandle und einem guten verbrecherische Absichten unterschiebe, dann mache ich ihm eine Fresse. Und einen Popo fabrizieren ist eigentlich eine identische Operation, lediglich mit dem Unterschied, daß es hier darum geht, einen Erwachsenen als Kind zu behandeln, ihn zu verkindlichen. Wie ihr seht, sind also beide Metaphern mit einem Deformierungsakt verbunden, den ein Mensch an einem anderen Menschen vornimmt. "Der Mensch schafft den Menschen", das war mein Ausgangspunkt in der Psychologie. (Gombrowicz, Polnische Erinnerungen)
Cezary Rowiñski über Witold Gombrowicz in Literatur Polens 1944-1985. Einzeldarstellungen: "Zu seiner Überzeugung paßt die scherzhafte Metapher Luigi Pirandellos, der Mensch gleiche einer Zwiebel: Wolle man das Wesen der Zwiebel finden, indem man die einzelnen Schichten ablöst, so würde sich zeigen, daß in ihrem Innern nichts ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Menschen, wenn wir beginnen, die Schichten, die ihn durch die zwischenmenschlichen Kontakte, die gesellschaftlichen Beziehungen überlagert haben, abzuheben."
|___KAMPF GEGEN DIE FORM___| Alle Protagonisten Gombrowiczs führen den aussichtlosen Kampf gegen die Form, und das ist nicht nur die Fresse, die uns das Zwischenmenschliche macht - es ist auch die nationale Fresse (wie in Trans-Atlantik ), die religiöse (Kardinal Pandulf in Trauung, der mit einem Trinker verglichen wird, der sich mit der Religion und der heiligen Kirche besäuft); es sind die Traditionen, Ideologien, Konventionen, Moden, Trends, denen wir alle passiv und hingebungsvoll verfallen, ohne uns dessen bewußt zu werden, daß sie gar nicht von uns kommen.
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"Wenn du nicht Arzt werden willst, sei wenigstens ein
Weiberhengst oder ein Pferdejockel, aber daß man's wenigstens weiß...
daß man's nur weiß..." Was die Tanten wollen, ist dem Józio eine Fresse machen; sie wüßten ja, wie sie sich gegenüber einem definierten Józio, Józio-Weiberhengst zum Beispiel, verhalten sollten, in welcher Weise sie mit ihm (und über ihn) sprechen sollten. Gleichzeitig hätte sich Józio auch - für einen Weiberhengst gehalten - dementsprechend benommen - sei es, um diese Betrachtungsweise seiner Person zu bestätigen, sei es, um sie zu widerlegen. In jedem Fall hätte sie ihn aber beeinflußt, verändert. Seine Natur wäre vergewaltigt, die Tanten hätten es aber dadurch mit ihm leichter gehabt. Wie die Tanten, so gehen alle mit dem Józio vor: Professor Pimko, der ihn besucht, behandelt ihn wie einen Jungen, und demgemäß schleppt er ihn zur Schule. Józio - der sich seines Alters ja bewußt ist - versucht sich zu wehren, aber zu seinem Erstaunen stellt er fest, daß sich seine Stimme verändert und Anzeichen einer Mutation aufweist, seine Hände und sein Kopf verwandeln sich in Händchen und Köpfchen, und sein Widerstand in einen widerwillig gemachten Kratzfuß. Schlimmer noch: Weder Schüler noch Lehrer entdecken sein Alter: Als Kind betrachtet, wird Józio schließlich zum Kind. Die Fresse, die ihm Pimko gemacht hat, ist von einer besonderen Art: Wie jede uns angehängte Fresse formt sie den Menschen um, diese aber macht es in einer bestimmten Weise: Sie infantilisiert, verkindlicht, "verpuppt". Die Schule entlarvt sich als Schauplatz des ständigen Kampfes der Fressen und mit den Fressen. Pimko, konfrontiert mit den Schülern, wird immer intensiver "Professor"; die Schüler, beobachtet von den Mütter und den Lehrern, die sie allesamt für unschuldige, naive Kinder halten, bemühen sich eifrig, das Gegenteil zu beweisen, was ihr Verhalten noch kindlicher und naiver macht. Schließlich ergreift einer der Schüler, Siphon, eine völlig andere Position - er bekennt sich zu seiner Unschuld. Dadurch wird eine neue Konstellation geschaffen: Alle Schüler fühlen sich gezwungen, sich angesichts der zwei Auffassungen zu definieren. Es bilden sich zwei Parteien, die eine von Siphon, die andere von Mjentus geführt. Die Pennäler sind sich nicht nur dessen nicht bewußt, daß sie sich von Pimko, Siphon und Mjentus umformen und gestalten lassen, sondern auch dessen nicht, daß sie bereits von vielen anderen Kräften umgewandelt werden. Die Sprache, der sie sich bedienen in feurigen Reden, die die Gegner umstimmen sollen, ist in der national-patriotischen Phraseologie verwurzelt; der Eifer der Jungs erinnert an jene ideologischen Auseinandersetzungen, in denen die Mitstreiter sich selber den Ideologien opfern. "Für meine Ideale bin ich bereit, mein Leben hinzugeben!" - offenbart Siphon. Die Situation, einmal entstanden, scheint sich zu verselbständigen: Die Ideologien reißen die Anhänger mit, die Kontroverse wird immer heftiger, es folgt ein Mienenkampf - ein Austausch grotesker Posen, die auch alle nicht von den Jungs selber kommen, sondern auf romantischen Gemälden basieren; Siphon versucht, sie nachzumachen, Mjentus - sie zu parodieren. Als letztes Argument wird Gewalt angewendet, Siphon wird "durch die Ohren vergewaltigt" und verliert den Kampf. Er zieht die Konsequenzen und begeht Selbstmord. Pimko, der Józio für nicht genügend "verpuppt" hält, führt ihn zur Familie Jungmann, bei der der "Junge" wohnen soll. Jungmanns haben eine perfekte, vollendete Fresse: Sie sind "modern". Niemand jedoch ist einmal und für immer definiert: Angesichts der Sutka Jungmann wird der mächtige Pauker Pimko zu einem hilflosen, alten Mann, der, auf dem Sofa sitzend, leise vor sich hin singt. Józio, ein typischer Held Gombrowicz', der des ständigen Fressenwechsels satt ist, manövriert alle in eine derart extreme Situation, daß sie sich ganz neu definieren müssen: Pimko als geschmackloser, ertappter Mädchenjäger, Sutka als verängstigtes, verlegenes Mädchen, Jungmanns als besorgte Eltern. So verlieren auch die bisherigen Fressen, die Józio gemacht wurden, ihre Gültigkeit: Solch einem Pimko gegenüber ist er kein Schüler mehr, gegenüber solchen Jungmanns kein altmodischer Junge.
Und so geht das Spiel mit den Fressen bis ans Ende des Buches, bis ans Ende der Welt, "denn es gibt keine Flucht vor der Fresse, als nur die
in eine andere Fresse, (...) vor dem Popo aber gibt es überhaupt keine
Flucht." |
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